ATU – vom Fuchsschwanz zur Schnellladestation
Überraschung! Es geht in diesem Beitrag nicht um notwendige oder unnötige Fahrzeugreparaturen. Sei bitte nicht enttäuscht. Wir betrachten etwas viel spannenderes. Die Entwicklung der größten deutschen Werkstattkette und ihre perspektivische Ausrichtung.
Gleich vorab, der Fokus liegt nicht darauf zu beurteilen was „gut oder schlecht“ ist. Es geht viel mehr darum zu sehen, welche Optionen und zukünftigen Geschäftsmodelle auf die gesamte Branche zukommen werden! Anhand des Beispieles ATU, lässt sich wunderbar aufzeigen, wie Unternehmen versuchen sich ihren Platz in der Zukunft zu sichern.
Die Epoche der Verschleiß-und Zubehörteile
Was waren das für goldene Zeiten, als die Kunden in Scharen die Filialen von ATU ansteuerten. Viele davon übrigens mit einem Fuchsschwanz an der Antenne.
Ein neues, damals sehr innovatives Konzept war ins Leben gerufen. Der Gründer Peter Unger hatte 1985 die Geschäftsidee seines Lebens. Sein Grundgedanke war, Qualität und Transparenz zu einem günstigerem Preis gegenüber Markenhändlern. Wohlgemerkt für ALLE Marken. Die gläserne Werkstatt war geboren.
Spontan mal zwischen Frühstück und Mittag ein Satz Alufelgen oder ein schickes Radio montieren lassen … das war doch was! Einer der größten Pluspunkte gegenüber den Autohäusern war eindeutig der „gelebte Schnellservice“. Termin? Fehlanzeige! Jetzt sofort war die Devise. Der Kunde sollte am besten augenblicklich „verarztet“ werden. Dementsprechend wurden die dafür notwendigen Ressourcen vorgehalten. Teileverfügbarkeit, freie Hebebühnen und natürlich ausreichend Personal war die Grundlage.
Damit ist die Werkstattkette groß geworden. Viele Jahre war es ein Siegeszug mit immer mehr Standorten. Stell dir mal stellvertretend für jede Filiale 600 Stecknadeln auf einer Deutschlandkarte vor. Was da geschaffen wurde ist gigantisch.
Der partnerschaftliche Führungsstil im Familienunternehmen hat sehr zum Erfolg beigetragen. Es war zum Beispiel so, das Mitarbeiter XY in egal welcher Filiale in einem Moment gerade die Regale auffüllte. Im nächsten Moment stand Herr Unger mit einem Strauß Blumen vor ihm und gratulierte zum Geburtstag. Bei seinen Vorort-Besuchen konnte er jeden seiner Angestellten mit Namen ansprechen. Frag mal deinen Chef wie der Azubi 3. Lehrjahr, mit der Brille und den langen dunklen Haaren heißt?!
Zeiten ändern sich … Kunden auch
Was ist aus dieser Zeit geworden? Im hier und jetzt, Aug in Aug mit einer Automobilbranche im Wandel. Die Blütezeit von ATU liegt weit in der Vergangenheit. Die Gründe für den „zeitweisen Niedergang“ sind vielschichtig und in externen wie internen Bereichen zu finden.
- Der Verkauf an branchenfremde Investoren mit deren Ziel von „maximaler Rentabilität“
- Abbau von Personal, andauernde Wechsel in der Führungsebene und „last but not least“ ein ungesunder Vertriebsdruck waren absolute „Killer“
- Die immer komplexere KFZ-Technik ist für ALLE freie Werkstätten immer schwerer zu handhaben
- Des Deutschen liebstes Kind kommt schon meist individualisiert zum Kunden! Felgen in 19 Zoll und Bose Soundsystem sind on Board!
- Das man mit Zusatzverkäufen und ausgeklügelter Verkaufspsychologie Geld verdienen kann hat sich schon lange herum gesprochen … auch in Markenbetrieben!
Der schnelle Wechsel vom durchgerosteten Nachschalldämpfer und dazu noch ein Energy Drink (natürlich mit eigenem Logo) wird immer mehr in den Hintergrund rücken. Die Anforderungen der Verbraucher an Werkstätten ändern sich unentwegt. Der Mensch wird immer bequemer und besser informiert sein. Gleichzeitig steigt sein Anspruch im Bezug auf Mobilitätsdienstleistungen und digitalen Service. Wer jetzt nicht die richtigen Weichen stellt wird nicht mithalten können.
Die Umsatzbringer von übermorgen
Die Zukunft wird bestimmt werden von Big Data und alternativen Antriebskonzepten.
- Softwareupdates on demand
- digitale Services
- Kompetenzen in alternativen Antriebsformen
werden immer mehr in den Vordergrund rücken. Auch wenn noch viele Jahre ins Land gehen werden, jeder Player am Markt muss seinen individuellen Weg finden. Also wundert es wenig, das ATU zum Beispiel Kooperationen mit Borgward plant. Wir gehen gleich näher darauf ein.
Kaum ein anderer Wettbewerber stellt sich aktuell so gut auf wie größte Werkstattkette Deutschlands. Durch die Übernahme von Mobivia können die circa 10.000 Mitarbeiter erstmal befreit durchatmen. Denn der neue Eigner ist sicher ein besserer Partner als zweifelhafte Investorgruppen der Vergangenheit. Der neue Besitzer ist Marktführer für markenübergreifende Fahrzeugwartung in Europa. Mit der Übernahme von ATU treibt man den Netzausbau optimal voran. Ebenfalls beteiligt sich Mobivia an diversen Start-ups wie zum Beispiel Car Sharing Unternehmen.
Auch ganz aktuell mit im Boot sitzt Michelin. Mit 20% hat sich der französische Reifenhersteller eingekauft. Weitere positive Synergieeffekte sind zu erwarten.
Die mittelfristige Strategie seitens ATU sieht auch eine Verschlankung des Verwaltungsapparates vor. Dafür soll wieder mehr Manpower in den Filialen vorzufinden sein. In den Bereichen E-Commerce und Digitalisierung der Prozesse werden hohe Investitionssummen angekündigt. Mittlerweile steht in der Filiale Verden sogar schon eine Schnellladestation für Elektrofahrzeuge. Wir halten fest, da ist System dahinter!
Dreiecksbeziehung ATU-Borgward-SIXT
Auch wenn aktuell bei beiden Internetpräsenzen von Borgward und SIXT noch kein tatsächlicher Vertrieb stattfindet, ist doch der Gedankengang sehr interessant. Könnte es doch ein Ausblick für ein Geschäftsmodell der Zukunft sein.
- Produkt / Borgward als asiatische Wiedergeburt einer deutschen prestigeträchtigen Marke liefert Fahrzeuge
- Sales / SIXT vertreibt online und vielleicht exklusiv
- Aftersales / ATU kümmert sich um Service und Garantie/Gewährleistung
Das ganze könnte nur der Anfang sein. Mehrere Hersteller aus Asien drängen auf den europäischen Markt. Ein eigenes Filialnetz wird wohl keiner anstreben. Eher denkbar und betriebswirtschaftlich sinniger sind sicher erst einmal Servicepartner. Da sind natürlich ATU und Co. die ersten Ansprechpartner. Markenbetriebe von BMW, VW, Opel etc. werden sich höchstwahrscheinlich keine Konkurrenz ins Haus holen. Folgendes Statement von Jörn Werner (CEO von ATU) passt doch perfekt dazu und zeugt von Selbstbewusstsein.
„Wir bauen zum Glück keine Autos und müssen keine verkaufen“
Laut Homepage tritt Borgward übrigens mit dem Anspruch an „Premium neu zu definieren“. Ob und wie das mit ATU als Partner gelingt werden wir sehen. Ich denke da an nüchterne Autohauspraxis wie z.B. Abwicklung von Garantiearbeiten. Man darf definitiv gespannt sein.
Resümee
Als ehemaliger Mitarbeiter von ATU muss ich mal eine Lanze brechen. Wenn ich an meine damaligen Kollegen denke, den Zusammenhalt betrachte und das Weiterbildungssystem bewerte…kann da nur eine glatte 1 am Ende stehen!
Auf der anderen Seite kenne ich natürlich auch diejenigen die anscheinend durchweg „fragwürdige Machenschaften“ vermuten/erleben. Wie immer liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Schwarze Schafe gibt es überall in der Branche. Vollkommen egal welcher Name an der Werkstatt steht.
Fakt ist das Betrug, Wucher oder wie auch immer keinem Unternehmen auf Dauer gut tun. Nur mit dem Kunden als Partner auf Augenhöhe kann langfristig Erfolg generiert werden.
Somit fällt das Fazit folgendermaßen aus. Jeder im Markt muss zusehen das er „mit dem Allerwertesten an die Wand kommt“. Sprich sein Geschäft so ausrichtet, das er in Zukunft auch noch konkurrenzfähig ist. Wenn ich jetzt die strategische Ausrichtung von ATU betrachte, bin ich fest der Meinung das die größte Werkstattkette Deutschlands weiterhin Ihren Weg gehen wird…erfolgreich.
Dein Stefan Jentzsch
ATU, digitale services, strategische Ausrichtung, Werkstattkette, Zukunft